Es ist tatsächlich eine außergewöhnliche Paarung, die der Münchner Christof Kindlinger in seinen neuesten Arbeiten in Beziehung setzt: Genusslust und Selbstlosigkeit vereinen sich hier ganz und gar unaufgeregt zur vielschichtigen Verbindung. Das Einzelne präsentiert sich ohne falsche Scham und entfaltet doch nur als Teil eines Ganzen Wirkung: Hedonistischen Altruismus kann man das auch nennen.
Dass Kindlinger, der Maler, eine Leidenschaft für die Formen der Natur und ihre pralle Blütenlust hegt, ist im Gegensatz zu früheren Werken inzwischen nur noch als Bewegung lesbar. Hier studiert zwar einer nach wie vor die Motive aus der ihn umgebenden Landschaft, seine Hand übersetzt das Vorbild aber nur mehr als Konturenlauf auf die Leinwand. Es gibt keinen abgleichenden Blick, sagt Christof Kindlinger. „Ich will nichts botanisch bestimmen, mich interessiert vielmehr die Eigenheit der Form.“ Gegenständliches löst sich bis zur bloßen Ahnung auf und verwandelt sich zuweilen zum reinen Farb-Körper. Und von denen tummeln sich einige im Raum der Fläche in mehr oder weniger abstrakten Spielarten. Alle nehmen scheinbar gleichzeitig auf unterschiedlichste Weise Kontakt zum direkten Nachbarn auf. Mal lösen sich pinke Pigment-Bomben an den Rändern auf und verschwinden in einer neuen Form oder tropfen himmelaufwärts auf der Suche nach Beziehung.
Die vielfach transparenten, hellen Farben bauen sich auf Kontrasten auf – oft im komplementären Dualismus und tief gehenden Abstufungen. Sie verschränken sich und entwickeln eine räumliche Eigendynamik. So schafft man Spannung. Und innere Logik. Zu keiner Zeit, sagt Kindlinger, werde dabei seine momentane Gefühlslage abgebildet. Das ist insofern bemerkenswert, als man hier ausgeprägte atmosphärische Bilder vor sich hat. Kindlinger also der Konstrukteur, der seine Flächen in bis zu 30 übereinander gelagerten Schichten miteinander korrespondieren lässt. Als akademischer Maler, der bei Professor Horst Sauerbruch an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert hat, weiß er um die Systematik der Wechselwirkung. Überall bricht in seinen Arbeiten ein höher oder tiefer lagerndes Fragmente durch, in Abgrenzung zur weichen Linie gern auch mal mit Rakel und architektonischer Strenge zur großen Kante aufgezogen, um dann mit der Sprühdose zu verkünden: Erlaubt ist, was lebt! Diese technische Vielfalt schenkt den weitgehend großformatigen Arbeiten eine naturhafte Plastizität.
Ab und an kommt bei Kindlinger, dem Kunsterzieher, der Pädagoge zum Vorschein. Dann, wenn er quasi als Fremdkörper die Kontur eines Betrachters in sein Netzwerk implementiert. Der wandert als Stellvertreter-Figur sowohl des Betrachters als auch des Malers selbst durch die vielen Ebenen dieser Korrespondenz-Kunst. Um letztlich zu erkennen, dass es dem Architekten dieser Farb gewordenen Beziehungskiste letztlich nicht um die Lösung einer Rechenaufgabe geht: „Ich muss dem Bild einen Überraschungsmoment abringen, erst dann ist das Bild fertig!“ Andrea Schlaier